Didaktik

In einem ausschließlich synchronisierten Unterricht kann der/die Schüler*in nur der Spur der Lehrperson folgen. Dann ist es der Lernprozess der Lehrperson.

V. Arntz (Rektor d. Hardtschule)

Als Wähler der Partei ,Die Grünen‘ kann ich gegen individuellen Straßenverkehr sein. Aber er findet nun mal statt. Wenn ich die Kinder nicht darauf vorbereite, werden sie umgefahren. Ich muss Kindern und Jugendlichen also beibringen, verantwortungsvoll damit umzugehen. So ist es auch mit digitalen Technologien: Sie finden statt – und wenn ich den Schülern etwas beibringen will, damit sie nicht in alle Fallen hineingeraten, muss man digitale Medien integrieren.

Prof. Wilfried Bos, Schulentwicklungsforschung, IFS – TU Dortmund

Zunehmend gefragt im Zuge der Automatisierung sind der Untersuchung zufolge soziale und emotionale Fähigkeiten. Darunter fallen zum Beispiel Kommunikations- und Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen, Empathie, Motivationsfähigkeit, Führungs- und Trainerqualitäten, aber auch Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen.

Mc Kinsey

Ich hätte mir mehr interdisziplinäres Arbeiten und Projektarbeit gewünscht. In der Medizin wird sehr viel interdisziplinär gearbeitet. Ich arbeite z.B. mit Betriebswirten, mit Juristen, mit Pädagogen, mit Datenschutzbeauftragten zusammen.

Telechirurg, Uni Mainz

Spätestens mit den Lockdowns und dem damit verbundenen Blended Learning (aka Hybrid Learning) taucht in den sozialen Medien immer wieder die Wortkombination Kultur der Digitalität auf. Felix Stalder war einer der ersten Kultur- und Medienwissenschaftler, der dazu publizierte. Was versteht er unter Digitalität?  [1]Stalder, F. (2021). Was ist Digitalität? In U. Hauck-Thum & J. Nöller (Hg.), Was ist Digitalität. Philosophische und pädagogische Perspektiven (S. 3- 9). Berlin: J. B. Metzler.

  • Digitalisierung im engen Sinn als den Prozess der Überführung eines analogen Mediums in ein digitales. Man legt ein Buch auf den Scanner und hat nachher ein elektronisches ‘Buch’ (S. 3).
  • Digitalisierung in einem erweiterten Sinn auf die „Veränderung von Prozessen, die mit diesen Medien organisiert werden. Dinge, die vorher mit analogen Medien organisiert wurden, werden nachher mit digitalen Medien organisiert. Aus dieser Perspektive ist Digitalisierung ähnlich wie Alphabetisierung“ (S. 4).
und
  • Digitalität […] als das, was entsteht, wenn der Prozess der Digitalisierung eine gewisse Tiefe und eine gewisse Breite erreicht hat und damit ein neuer Möglichkeitsraum entsteht, der geprägt ist durch digitale Medien.“ (S. 4)
Doebeli hat in einem Vortrag eine Visualsierung dieser beiden Begriffe (Digitalisierung, Kultur der Digitalität) vorgestellt:

 

und schreibt/sagt dazu: (…) ein Grund, warum wir noch immer über das Thema reden, liegt darin, dass es eben nicht _ein_ digitaler Wandel ist, sondern dass sich die digitale Transformation als eine Folge von digitalen Wandeln zeigt. Aktuell sind wir technisch in der Etappe „Maschine Learning“, was seit November 2022 mit dem KI-Textgenerierungsprogramm ChatGPT in ein allgemeineres Bewusstsein gerückt ist.

Schule in der digitalen Welt

Diese Überschrift, die auch meine Praxisbände begleitet, stammt in leichter Abwandlung aus den Überlegungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Medienkompetenzrahmen. In den Bildungskommissionen der Länder sind – wie in föderalen Strukturen üblich – zahlreiche Umsetzungen (ab. S. 24) entstanden, die für unterschiedliche Ansätze stehen. Allen gemeinsam ist der Anspruch, Schlussfolgerungen für die Arbeit vor Ort zu ziehen. Zahlreiche Veröffentlichungen verweisen auf folgende Zusammenhänge:

Wie könnte ein Technologie gestützter Unterricht aussehen, den möglichst alle Schülerinnen und Schülern gern und erfolgreich besuchen – ein Unterricht, der wesentlich dazu beiträgt, Kompetenzen zu erwerben, um in der Schule, im privaten und beruflichen Leben Herausforderungen verantwortungsvoll zu meistern und der zur Mitgestaltung von Gemeinschaft beitragen kann? Um sich sicher im Raum der Digitalität zu bewegen, benötigt es Modelle. In den letzten Jahren stehen vor allem diese drei im Mittelpunkt didaktischer Diskussionen:

VUCA - Welt: volatil, ungewiss, komplex und mehrdeutig

Olaf-Axel Burow leitet seine Vorträge in der Regel mit diesem Bild ein [2]http://www.sachsen-anhalt.ganztaegig-lernen.de/sites/default/files/P0P%20GTS%2011.9.2017%20Magdeburg%20kurz.pdf

und führt aus, dass in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung sich die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen zusehends verändern, während das Organisationsmodell von Schule und schulischem Lernen seit etwa 200 Jahren – zumindest in seiner Grundstruktur – gleich geblieben ist.

Unser Bildungssystem wurde für eine andere Gesellschaft entwickelt. Fließband, für alle zur gleichen Zeit das Gleiche, schwerpunktmäßig nach Fächern sortiert. Im Zeitalter mobilen Lernens, in dem Information und Wissen zeit- und ortsunabhängig vorhanden sind, verliert dieses Schulmodell aber seine Daseinsberechtigung. Man braucht völlig andere Anforderungen an Lehren und Lernen, um die “Generation Selfie” für die Zukunft fit zu machen. Wissenvermittlung reicht nicht mehr.

so Burow in einem Zeitungsbeitrag. Und weiter:

Er skizzierte in seinem Buch sieben Trends, “die die Schule revolutionieren”. Und dazu gehöre zuallererst, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. “Wir müssen herausfinden, was Maschinen besser können und was Menschen. “Zweitens gehe es um die Veränderung der Lehrerrolle (hin zum Lernberater oder Coach). Dazu bedürfe es auch alternativer Raumgestaltungen (“Lernlandschaften”). Weitere Punkte seien Vernetzung, Gesundheitsorientierung, Demokratisierung und Glücksorientierung. “Die Schule der Zukunft ist eine Kulturschule, die analog und digital kreativ verbindet” und die vor allem Lebenskompetenz vermittelt. Denn, so Burow: “Schule ist mehr als Unterricht.” [3]https://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/Schule-ist-mehr-als-Unterricht;art598,4239658

 

Dagstuhl - Erklärung

Unter diesem Begriff haben Medienwissenschaftler und Informatiker im Rahmen einer Veranstaltung versucht, „Digitale Bildung“ zu definieren. Die Erklärung weist drei Perspektiven aus[4]http://blog.doebe.li/Blog/DagstuhlDreieck:

Technologische Perspektive: Wie funktioniert das?
Die technologische Perspektive hinterfragt und bewertet die Funktionsweise der Systeme, die die digitale vernetzte Welt ausmachen. Sie gibt Antworten auf die Frage nach den Wirkprinzipien von Systemen, auf Fragen nach deren Erweiterungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Sie erklärt verschiedene Phänomene mit immer wiederkehrenden Konzepten. Dabei werden grundlegende Problemlösestrategien und -methoden vermittelt. Sie schafft damit die technologischen Grundlagen und Hintergrundwissen für die Mitgestaltung der digitalen vernetzten Welt.

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive: Wie wirkt das?
Die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive untersucht die Wechselwirkungen der digitalen vernetzten Welt mit Individuen und der Gesellschaft. Sie geht z. B. den Fragen nach: Wie wirken digitale Medien auf Individuen und die Gesellschaft, wie kann man Informationen beurteilen, eigene Standpunkte entwickeln und Einfluss auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen nehmen? Wie können Gesellschaft und Individuen digitale Kultur und Kultivierung mitgestalten?

Anwendungsbezogene Perspektive: Wie nutze ich das?
Die anwendungsbezogene Perspektive fokussiert auf die zielgerichtete Auswahl von Systemen und deren effektive und effiziente Nutzung zur Umsetzung individueller und kooperativer Vorhaben. Sie geht Fragen nach, wie und warum Werkzeuge ausgewählt und genutzt werden. Dies erfordert eine Orientierung hinsichtlich der vorhandenen Möglichkeiten und Funktionsumfänge gängiger Werkzeuge in der jeweiligen Anwendungsdomäne und deren sichere Handhabung.

 

4 K - Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation

Das Modell wurde von einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation entwickelt, in der sich Wirtschaftsvertreter, Bildungsfachleute und am Gesetzgebungsprozess Beteiligte für die Bildung in einem digitalen Kontext einsetzen. Die Organisation hat ein „Framework for 21st Century Learning“ veröffentlicht, welches das 4K-Modell beinhaltet und davon ausgeht, dass diese 4K in Arbeitsumgebungen des 21. Jahrhunderts besonderes Gewicht erhalten. Die Orientierung an den 4K wurde in den USA von vielen Schulen in ihre Leitbilder übernommen, weil diese vier überfachlichen Kompetenzen eine Zielformulierung unabhängig von fachbezogenem Lernen ermöglichen.

In Deutschland ist das Modell durch den PISA-Koordinator Andreas Schleicher bekannt gemacht geworden. Auch er argumentiert von beruflichen Anforderungen aus, die klassische Unterrichtsfächer in den Hintergrund rücken ließen. Schleicher betont, der Umgang mit Wissen habe sich gewandelt: Inhalte würden nicht mehr gespeichert und dann von Lehrkräften an Lernende vermittelt. Vielmehr flössen sie, meint Schleicher, in Strömen unablässiger Kommunikation und Kollaboration. Die Bildungsforscherin Lisa Rosa teilt diese Sicht und benennt drei Argumente, warum das 4K-Modell zum Orientierungspunkt für die Didaktik werden sollte:

  • Immer mehr Arbeiten werden von Maschinen übernommen.
  • Jede neue Arbeit verlangt mehr komplexes Denken, situierte selbstverantwortliche Entscheidungen und Beziehungsfähigkeit.
  • Die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme sind so komplex, dass sie nur noch mit kollektiver Intelligenz bearbeitbar sind.

Rosa bettet die 4K in eine umfassende Modellierung des Lernens ein und weist so darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Lernmethode handelt. Die 4K könnten nicht getrennt werden, sondern beziehen sich stets aufeinander: Es ist keine wirksame Kommunikation ohne Kreativität, Kollaboration und kritisches Denken möglich [5]https://de.wikipedia.org/wiki/4K-Modell_des_Lernens.

Ziel sollte sein, dass der Lehrer und die Lehrerin in der Lage sind, Lernräume zu gestalten, die analog, digital und auch hybrid funktionieren und dieses umfängliche, umfassende Lernen ermöglichen und auch in digitalen Formaten Beziehungserfahrungen zulassen und nicht nur das Stellen von Aufgaben und das Abfragen von Ergebnissen. Dabei lohnen die in den Videos dargestellten Strukturen und Merkmale einer ausgeprägten Unterrichtsqualität sowie Aspekt aus der Kognitionswissenschaft – hier im Zusammenhang mit dem einsatz von KI – Tools – zu übernehmen …

Schul- und Unterrichtsentwicklung benötigt Zeit. Referenzrahmen der Länder geben eine erste Orientierung. Jede Schule tickt anders, daher braucht es individuelle Lösungen, professionelle Projekt- und Prozesssteuerung und einen empathischen Umgang mit Widerständen, wie Claus G. Buhren in einem Beitrag für das Deutsche Schulportal hervorhebt:

In der Zone der Turbulenzen, also in der ersten Praxisphase einer Innovation, werden einige mit Begeisterung und Eifer bei der Sache sein, das Projekt gutheißen und die ersten Schwierigkeiten als notwendig und händelbar betrachten. Andere werden – manchmal unabhängig von ihrem aktuellen Beteiligungsgrad – mit Widerstand reagieren und dies alles als Überforderung betrachten. Das ist die zweite entscheidende Phase der Prozesssteuerung, die die Schulleitung im Blick behalten muss, wenn das Projekt nicht scheitern soll. Auch hier gilt es, den Widerstand nicht zu unterdrücken oder gar zu ignorieren, sondern als notwendige Resonanz zu betrachten, die vielleicht sogar wichtige und richtige Aspekte aufwirft, die für die Praxis des Projekts zu bedenken sind. Es geht in diesem Fall um die Akzeptanz von Widerspruch und individueller Überforderung. Diese Überforderung ist äußerst ernst zu nehmen. Manchmal sind es einfache individuelle Lösungen, die an dieser Stelle greifen können. [6]https://deutsches-schulportal.de/stimmen/was-die-leitung-ueber-change-management-wissen-muss/

Die Ausführungen zur digitalen Didaktik zeigen mögliche neue (?) Wege auf. Sie aufzugreifen und schulintern zu diskutieren, gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer Schulkonferenz in der nahen Zukunft. Vor allem, weil die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit hybriden Lernstrukturen Schwierigkeiten haben:

Die wichtigsten Akteure, die Schüler, sind in ungewohntem Ausmaß in ihrer Selbstständigkeit gefordert – und scheitern oft. Zum einen, weil sie – vor allem in den unteren Jahrgängen – damit schlicht überfordert sind. Zum anderen aber, weil der Unterricht ihnen zuvor zu wenig an Eigenverantwortung für den Lernprozess vermittelt hat. (Wolfgang Schimpf, Vorsitzender der niedersächsischen Direktorenvereinigung)[7]https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-coronavirus-lehrer-bildung-1.4886140

Lehrkräfte und Schulleitungen werden noch eine längere Zeit zu improvisieren haben. Es ist beeindruckend, wie viele von ihnen zurzeit das eine oder andere Setting ausprobieren, wie auch Schimpf in seinem Artikel bestätigt:

(Sie) sind (als) Vorreiter einer digital basierten Unterrichtskultur im Moment besonders gefragt, wachsen mitunter über sich hinaus, indem sie aufgeschlossenen Kolleginnen und Kollegen die Welt von Chaträumen und Videoportalen eröffnen, die methodischen Möglichkeiten von Kahoot, Trello und ZUMpad aufzeigen und ihre Schulen so einen großen Schritt in Richtung einer sinnvollen Digitalisierung voranbringen. Natürlich würde der größer ausfallen, wenn die versprochenen Ressourcen des Digitalpakts schon zur Verfügung stünden. Aber wenn überhaupt irgendwo, dann hat die Ausnahmesituation hier zweifellos als Katalysator gewirkt. Schulen werden orientierter und mit klarerem Urteil aus der Krise kommen. [8]ebda.

Für diejenigen, die noch am Anfang stehen und/ oder nun vom Ministerium, von der Schulaufsicht in die Pflicht genommen werden, den Schülerinnen und Schülern eine schulische Arbeit auch zu Hause zu ermöglichen, denen seien einige Impulse für das Lernen auf Distanz empfohlen. Sie stammen von Axel Krommer, Philippe Wampfler und Wanda Klee, die im Auftrag des Schulministeriums NRW ein didaktisches Unterstützungs- und Reflexionsangebot für Lehrerinnen und Lehrer konzipiert haben.

Es ist unseren Schülerinnen und Schülern zu wünschen, dass sie nach der Pandemie ein Schulleben vorfinden, das sie einerseits in die Klassengemeinschaft zurückfinden lässt, anderseits auf die neuen Herausforderungen in der Berufswelt vorbereitet, gleichgültig ob in Betrieben, in Fachhochschulen oder in Universitäten. 

Weiterführende Literatur